18.07.2023 – Bruce Springsteen and the E Street Band in Wien

Einleitung:

Es gibt keine schlechten Springsteen-Konzerte. Doch ließ mich sein letzter Auftritt im Wiener Ernst-Happel-Stadion am 12. Juli 2012 mit gemischten Gefühlen zurück. Noch berauscht von Zürich war ich dann vom Klang im Wiener Stadion entsetzt. Die ersten zwei Konzerte dort waren super, aber wie kann das dritte gut sein, wenn ich „Racing In The Street“ kaum erkannte und „Tougher Than The Rest“ als Klangbrei wahrnahm?

Es mag jede:r anders empfinden, aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass es eher suboptimal ist, wenn ich innerhalb von wenigen Tagen zwei Bruce-Springsteen-Konzerte besuchte. Mir würde das Erlebte vom ersten Konzert geraubt werden, weil ich es doch gern länger habe, solche Konzerte zu verarbeiten und oft bedauerte ich, dass das zweite Konzert die Magie des bisher Erlebten innerhalb kurzer Zeit zerstören würde.

Okay, zwischen München und Berlin 2016 waren 48 Stunden. Aber ich hatte keine andere Wahl, weil die beiden die einzigen Deutschland-Konzerte in 2016 und auch von der Erreichbarkeit ideal waren. Dennoch wäre es mir lieber gewesen, die Termine lägen etwas weiter auseinander.

Nachdem Ende Mai 2022 die Termine für die Europatournee 2023 bekannt waren und ich unbedingt nach Hamburg wollte, beschloss ich, auf Wien zu verzichten. Das Konzert in Wien fand drei Tage nach Hamburg statt und ich wollte nicht den gleichen Fehler wie in 2012 machen. Außerdem sah ich mich mit Zürich und Hamburg reisetechnisch sehr gut versorgt. Und als die Tramps begannen, über die starren Setlisten zu monieren, fühlte ich mich in meiner Entscheidung bestätigt.

Bis Anfang Mai diesen Jahres.

Urs, den ich im Zuge des Patent-Ochsner-Konzertes in Bern 2016 kennenlernte, meldete sich nach langer Zeit wieder und schrieb, dass er für das Konzert in Wien eine Karte übrig hat. Er fragte mich, ob ich jemanden kenne, der die Karte nehmen würde.

Die Karte wedelte bildlich vor meiner Nase und ich gebe zu, ich spielte manchmal mit den Gedanken, ob ich doch nicht eventuell am Konzerttag beim Stadion vorbeischauen solle, für den Fall… und dann: „Das kann ich mir doch nicht entgehen lassen!“

Ich sagte ihm noch am selben Tag zu.

Ich war trotzdem hin- und hergerissen. Einerseits war ich froh, dass ich mir nun den Gedanken „Wär ich doch vielleicht hingegangen…“ sparen konnte, andererseits fürchtete ich mich vor einer neuerlichen Enttäuschung Ernüchterung. Abschließend redete ich mir ein „Betrachte es als ein wunderbares Geschenk!“ und nachdem Hamburg für mich die Latte ziemlich hochgelegt hatte, war ich wieder skeptisch. Aber ich hatte einen sympathischen Mitstreiter für das Konzert in Wien und als einzige Alternative blieb mir nur der Optimismus!

Wien, 18. Juli 2023:

Ein weiterer heißer Tag kündigte sich an. Nach ein paar Stunden Heimarbeit traf ich mich mit Urs und für ein leichtes Mittagessen kehrten wir im MuseumsQuartier ein, bevor wir zum Stadion fuhren. Vor dem Stadion fanden wir unseren Eingang. Wenige Minuten vor dem Einlass erblickte ich Blogkollegin und Tramp Anna aus Göteborg. Wir hatten kein Treffen vereinbart, umso mehr freute mich die Zufallsbegegnung. Doch viel Zeit zum Plaudern hatten wir nicht, denn Urs und ich konnten schon bald das Oval betreten.

Die Sonne knallte erbarmungslos im Sektor E, ich hatte zum Glück mein Kapperl dabei und Urs behalf sich mit seinem neu erworbenen Hard-Rock-Café-Shirt. Die Wartezeit verging recht schnell, ich konnte zwischendurch noch einmal aufs Klo (Dafür gibt’s einen Plus. Die Toilettenanlagen vor dem Stadion waren top, zahlreich vorhanden und auch außen herum abgesperrt, so dass ich bei der Rückkehr die Karte nicht noch einmal vorzeigen musste.) und mir auch ganz entspannt etwas zum Essen & Trinken holen.

Konzert:

Nach 19 Uhr betraten die Mitglieder der E Street Band die Bühne. Plötzlich packte mich die Erkenntnis, dass ich beim letzten Konzert dabei bin und mir das Geschenk zuteil wurde, innerhalb von wenigen Wochen ein drittes Mal Bruce Springsteen mit der E Street Band live zu erleben. Bei dieser Erkenntnis vergoss ich die ersten von vielen Tränen an diesem Abend. (Nein, das Konzert war nicht schrecklich. Im Gegenteil!)

Sie schworen uns auf „NO SURRENDER“ ein. Sie alle. 18 Personen auf der Bühne und 60.000 Menschen im Publikum. Soozie Tyrell an der Gitarre und der unverwechselbaren Violine, der Organist Charlie Giordano, die Bläsersektion rund um Ozzie Melendez, Barry Danielian, Curt Ramm und Eddie Manion. Der Gitarrenzauberer Nils Lofgren, nicht umsonst heißt er „Mighty“ Max Weinberg, der Mann, der immer noch mit geradem Rücken am Schlagwerk sitzt. Die Hintergrundsänger:innen Ada Dyer, Michelle Moore, Lisa Lowell und Curtis King. „Professor“ Roy Bittan an der Klaviatur, vor ihm Anthony Almonte an den Percussions. Auch nach fünfzig Jahren zupft er verlässlich wie eh und je die Bassgitarre, der einzig verbliebene Mitbegründer der E Street Band: Garry Tallent. Neben ihm der wichtigste Mann an Springsteens Seite: Gitarrist Little Steven Van Zandt. Er hatte ein schweres Erbe zu tragen, trat aber mutig in seine Fußstapfen und wird seitdem von den Fans heiß geliebt: Saxophonist Jake Clemons, der Neffe des in 2011 verstorbenen „Big Man“ Clarence Clemons.

Und Bruce Springsteen. Beim dritten Konzert sehe ich ihm wieder an, dass sieben Jahre nach der letzten Tournee vergangen sind. Der Mann ist sichtbar älter geworden, er macht nicht mehr so viele Meter, tobt auch nicht herum, ist aber zu Lebzeiten immer noch der größte Rockmusiker. Unterstützt von seiner Band war er auch von den „Ghosts“ umgeben, die im Laufe der Jahre immer mehr werden.

Das Publikum im Happel war sehr gut drauf. Es war denen anzusehen, dass sie mehr als elf Jahre auf seine Rückkehr warten mussten. „Prove It All Night“ und „Letter To You“ mögen zwar 32 Jahre auseinander liegen, sie begeisterten gleichermaßen mit Springsteens intensivem Gitarrenspiel und seinen immer wiederkehrenden, teilweise pathetischen Schwüren.

Da war es wieder. Das Lied, das ich als erstes bei meinem ersten Springsteen-Konzert hier in diesem Stadion hörte: „THE PROMISED LAND“. Ich schnellte vom Sitz hoch und begab mich wieder zu meiner persönlichen Messe. „Out In The Street“ rein ins Stadion und ich genoss die euphorische Stimmung im Publikum. Als ich das Doppelpack „Darlington County“ und „Working On The Highway” erkannte, ahnte ich, dass mir eine Premiere bevorstehen würde: Zum ersten Mal bei Bruce Springsteen bekäme ich ein liederlistenmäßig identisches Konzert. Ich dachte noch kurz daran, dass der Boss Erbarmen mit den Österreichern haben und ihnen noch „Born In The U.S.A.“ schenken würde. Und doch war bisher alles anders. Ich feierte mit meinem Mitstreiter und zigtausend anderen den obersten Boss im Prateroval.

„KITTY’S BACK“. Das einleitende Gitarrensolo erinnert mich an eine maunzende Großstadtkatze, aber ich finde es sehr erotisch. Auch hat das 50 (!) Jahre alte Lied nichts von seiner Eleganz verloren, wenn Springsteen die Bläser zu ihrem Einsatz dirigierte. Am Ende des Liedes begaben sich die Hintergrundsänger:innen nach vorne, um die Rückkehr der tierischen Gottheit zu feiern. Das Lied enthält dank seiner opulenten Länge sehr viele jazzige Elemente und demzufolge erklang Bruce Springsteens aktuell liebste Nummer, die nicht aus seiner Feder stammt: „Nightshift“. Das Lied kam auch in der österreichischen Hauptstadt gut an, dennoch freute ich mich, wieder seine Originale zu hören. Auch bei meinem dritten Konzert verfehlte das „Let it rain!“-Mantra im „Mary’s Place“ ihre Wirkung. Ich hatte wieder Glück mit dem Wetter und ich spürte die positiven Schwingungen beim mehrstimmigen „Turn it up!“ zu Springsteens „I drop the needle and pray“.

Das Publikum im Oval versank in „The River“ und lauschte – so wie in Hamburg vor wenigen Tagen – ganz gespannt Springsteens Einleitungsrede zu „Last Man Standing“. Auch wenn ich innerhalb weniger Tage den gleichen Text las, war ich in Wien nicht weniger ergriffen. So ging es mir auch mit dem anschließenden Lied.

Als Bruce Springsteen seine Akustikgitarre gegen die Telecaster, die dank der Abnutzungserscheinungen seiner berühmten ähnelt, eintauschte und in die Höhe reckte, erklangen die ersten Takte zu „BACKSTREETS“. Ich erhob mich vom Sessel und versank mich innerlich in die monumentale Ballade:

Anschließend tobte ich zu „Because The Night“, der Rest des Publikums war genauso euphorisch und feierte ungebrochen jubelnd zu „She’s The One“ und „Wrecking Ball“. Der Abendhimmel zeigte sich von seiner besten Farbgebung und ich war einfach nur sprachlos glücklich, bei diesem Konzert dabei zu sein.

Wissen Sie, bei vielen Konzerten habe ich meine gewissen Höhepunkte. Etliche Konzerte sind einzige Höhepunkte und doch gibt es bestimmte Momente, die dem Konzert ihren Stempel aufdrücken. Hier in Wien am 18. Juli 2023 war es unspektakulär „THE RISING“. Das ganze Stadion bebte regelrecht. Bistdudeppad!

Wenige Stunden vor dem Konzert warnte ich Urs, dass ich bei „BADLANDS“ für nichts garantieren würde. Er brachte sich rechtzeitig in Sicherheit, ich räumte noch meinen Sessel weg und lebte ein weiteres Mal das Lied aus.

In „THUNDER ROAD“ wurde mir so richtig bewusst, dass es an diesem Ort vor 20 Jahren geschah, als ich meinen speziellen Moment am 25. Juni 2003 einfing. Mit diesem Lied. „Show a little faith, there‘s magic in the night…”. Ja, ich bin mittlerweile zwanzig Jahre älter geworden, aber ich genieße es, dass ich immer noch die Leidenschaft für Bruce Springsteens Musik hege und der Mann mich immer noch berührt.

Das Ende des Konzerts rückte unvermeidlich näher. Der Zugabenblock begann mit dem Allzeitklassiker „Born To Run“, ich winkte heftig und wieder Tränen vergießend zu „BOBBY JEAN“. Mit einem Augenzwinkern, um die letzten Tränen wegzuwischen, feierten wir zu „Glory Days“ und ich war wieder überwältigt von der fantastischen Stimmung im Stadion und weil „Nobody wants to go home!“, tanzten wir programmatisch in den dunklen Abendhimmel zu „Dancing In The Dark“.

Bruce Springsteen rief mehrmals ein „VIENNA!“ aus. Wien, ich liebe Dich auch! Danke, dass Ihr mich für das vergangene Konzert entschädigt habt! Auch Wien hat die legendary E Street Band gesehen und es ging nahtlos zu „Tenth Avenue Freeze-Out“ über. Die verstorbenen Bandmitglieder Danny Federici und Clarence Clemons konnte ich noch bei meinem ersten Konzert sehen. Zu diesem Zeitpunkt war der Tod weit weg, die E Street Band war für mich unsterblich.

Der Boss verabschiedete seine Bühnengefährten. Die herzliche Umarmung mit Jake Clemons berührte mich wieder aufs Neue und ich musste Fotos davon machen.

Und weil die Endlichkeit des Lebens mit zunehmendem Alter immer präsenter wird, prophezeite uns Bruce Springsteen ein „I’ll See You In My Dreams“ zum Abschied.

Ich habe jetzt wieder Tränen in den Augen, während ich die letzten Worte niederschreibe.

7 Kommentare

  1. Und wieder eine wunderbare Konzertbeschreibung, nein eher ein Fühlen durch die Lieder und ein Miterleben bei Dir, dass mir sagt, sollte der „Boss“ später noch einmal kommen, muss ich dabei sein. Danke für das Teilen, welches ich beim Lesen sehr genossen habe…

    1. Es freut mich zu lesen, dass mein (mal wieder doch ausführlicher) Bericht bei Dir angekommen ist.
      Gerüchte machen die Runde, dass Bruce Springsteen eventuell nächstes Jahr wieder nach Europa kommen wird.

    1. Danke! Ja, ich bin froh, dass ich dieses Konzert auch „mitgenommen“ habe.

      Übrigens, ich erinnere mich dunkel an einen Weissensee-Beitrag von Dir und dass Du leider für die Italien-Konzerte keine Karten kaufen konntest.
      Der Veranstalter BarleyArts kündigt für morgen weitere Konzerte in 2024 an. Das Gerücht macht die Runde, dass das San Siro wieder beehrt wird.

      Heute Abend spielt der Boss in Monza. Ich habe mir im Vorfeld die Berichte zum Unwetter in der Umgebung angesehen, schrecklich. Ich hoffe, Ihr bleibt in Eurer Gegend davon verschont!

      1. Tatsächlich? San Siro wäre mal was, ja. Auf freiem Gelände wie Monza kann es im Hochsommer schnell ungemütlich werden, sei es durch die Hitze oder aber wie jetzt die Unwetter. Es gab Diskussionen, ob das Konzert für heute nicht abgesagt werden solle. Ich hoffe, man liegt mit der Prognose, dass es heute Abend wettermäßig nicht nochmal schlimm wird, richtig.
        Es ist gruselig dieses Jahr in unserer Nähe. Gestern Nacht hörten wir die abartig lauten Donnerschläge, die Mailand und die Brianza wieder heimgesucht und Schäden angerichtet haben, zwei Todesopfer durch umstürzende Bäume. Ich hoffe, der August wird endlich ruhiger.
        Liebe Grüße!

  2. Aller guten Dinge sind drei. Es freut mich sehr fuer Dich, dass sich Deine urspruenglichen Bedenken sich nicht bewahrheitet haben.

    In der Tat ist es kaum vorstellbar, dass ein grandioser Kuenstler wie Springsteen „versagt“, doch letztlich ist auch er nur ein Mensch, und jeder Kuenstler kann auch einmal einen schlechten Abend haben.

    Klagen ueber nahe beieinander liegende Konzerte moegen sich zwar fuer manch aussenstehenden Beobachter nach stoehnen auf hohem Niveau anhoeren, doch kann ich Deine Ausfuehrungen diesbezueglich gut nachvollziehen.

    Letztes Jahr hatte ich Konzerte von Bonnie Raitt und Paul McCartney in unmittebarer Folge. Zwar genoss ich beide, doch war hinterher dann schon ganz schoen platt. Wir sind halt beide keine 18 mehr! :-)

    Mit jedem weiteren Deiner Konzertberichte steigt die Vorfreude auf mein Springsteen-Konzert am 1. September in New Jersey! :-)

    1. Springsteen hat nie versagt, sondern der Klang im Stadion. Stadien sind eigentlich nicht für Konzerte geeignet, auch bei meinen diesjaehrigen Konzerten war der Klang manchmal uebersteuert, aber es hielt sich im Rahmen und war nicht so schlimm wie in Wien 2012.

      Ja, das Alter spielt auch eine Rolle. Bei mir ist es eher, dass ich ein erlebtes Konzert gern geniessen und mich noch viele Tage spaeter daran erinnern moechte.

      Bis zu Deinem Konzert wird es auch nicht mehr lange dauern :-)

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