15.07.2023 – Bruce Springsteen and the E Street Band in Hamburg

Einleitung:

Ich versuche, mich kurz zu fassen. Es war klar, dass ich bei der diesjährigen Tournee nicht nur ein Konzert besuchen würde und war regelrecht froh, als Hamburg auch in Bruces Tourneeplan aufschien. Näheres dazu erkläre ich gern in einem ganz anderen Erlebnisbericht, den ich erst Anfang August veröffentlichen werde.

Hamburg, 15. Juli 2023:

Als Einstimmung auf das Konzert nutzte ich die Gelegenheit, meinen langjährigen Blogkollegen Hanseator endlich in natura zu sehen. Wir stärkten uns mit Speis & Trank im empfehlenswerten „Alten Mädchen“ im Schanzenviertel. Nachher mussten wir zwei bummvolle S21 vorbeiziehen lassen, bevor wir endlich einsteigen und nach Stellingen fahren konnten. Wir verzichteten auf die Shuttlebusse und gingen, wie viele andere, zu Fuß zum Volksparkstadion. Dort angekommen, blutete ich für ein HERREN-T-Shirt der Größe S mit Aufdruck der gesamten Band inklusive Patti Scialfa vorne und Spielorte auf der Rückseite. 50 EUR waren schnell weg. Die Damen-Shirts waren dieses Mal zum Schmeißen, so werde ich halt versuchen, die von den vergangenen Tourneen weiterhin schonend zu behandeln. Leider mussten sich unsere Wege trennen, da Hanseator in einem anderen Block saß. Wie Hanseator es in seinem Bericht schön beschreibt, blieben wir dennoch über die Musik verbunden. Klicken Sie hier, um seine Eindrücke zu lesen!

Ich gönnte mir noch einen Radler und nahm somit das eher hässliche, für die Tournee gestaltete Trinkbecher als Souvenir mit. Im Gegensatz zu Zürich war ich dieses Mal rechtzeitig beim Stadion und war ganz entspannt, weil ich den Boss für seine ca. Viertelstunde dauernden Verzögerungen kannte.

Konzert:

Gleich vorneweg: Es wurde zu Beginn der Tournee viel kritisiert. Die Kartenpreise, ganz besonders in den USA. Und zum Entsetzen vieler Tramps, die sich ein „Das wird die letzte Tournee, ich nehm‘ so viele Konzerte wie möglich mit!“ dachten, wagte es Bruce Springsteen, ein Standardprogramm abzuliefern. Ausgerechnet DER Musiker, bei dem wir es von den vergangenen Tourneen gewöhnt waren, dass kein Konzert dem anderen gleicht und er mit der E Street Band oft auf Jukebox machte und immer wieder Schilderwünsche der Besucher:innen erfüllte. Nichts von dem! (Die große Ausnahme war Zürich, bei dem ich auch dabei war!)

Zugegeben, ich bin froh, dass die Kindergesangswettbewerbe während „Waitin‘ On A Sunny Day“ ein Ende fanden, ganz zu schweigen von den Massenaufläufen während „Dancing In The Dark“. Stattdessen soll die Setliste so aufgebaut sein, dass sie eine Geschichte erzählt. Und so geschah dies auch an einem Sommerabend in Hamburg.

Kurz vor 18:40 Uhr fand ich meinen Platz und stellte erfreut fest, dass die Sicht zur Bühne näher war als in Zürich. Ich genoss es, wieder zu sitzen, nachdem ich die vergangenen Tage in Hamburg viel unterwegs war. Ich registrierte mit einem Staunen, als die Mitglieder der E Street Band schon um 18:55 Uhr die Bühne betraten.

Nach einer kurzen Begrüßung legte Bruce Springsteen mit „No Surrender“ los. Das ist sie, die legendary E Street Band mit viel Unterstützung am Gebläse und von Hintergrundsänger:innen. Eine Einheit, die sich ein Versprechen gegeben hat. Ein Bollwerk, dessen „three minute record“ viel lehrreicher ist als die ganze Schulzeit. So ging es zu „Ghosts“, einem Lied aus dem letzten Album „Letter To You“, weiter. „No Surrender“ mag sich in den fast 40 Jahren bewährt haben, mit „Ghosts“ beweist Bruce Springsteen mit der E Street Band, dass er „ALIVE“ ist.

Die Stimmung in meinem Block empfand ich als positiv, nervig war nur das Mutter-Tochter-Gespann ein paar Reihen weiter unten, das ständig fotografierte und auch nicht mit Selfies sparte. Aber lassen wir uns nicht von denen stören, sondern fokussieren wir uns auf das Konzert: Sowohl der Schwur in „No Surrender“ als auch das Beteuern dieses „I’M ALIVE“ in „Ghosts“ wurden mit „Prove It All Night“ verstärkt. In mein Gedächtnis brannte sich die Szene ein, als Saxophonist Jake Clemons sich an seinen Boss anlehnte, während dieser ein halsbrecherisches Solo hinlegte. Das Bild erinnerte mich an ein ähnliches, fast 50 Jahre altes, als ein schmächtiger Boss sich an Clemons‘ mittlerweile verstorbenen Onkel anlehnte.

Nach diesem Lied blieb es Springsteen mit der E Street Band, das bisher Erzählte mit einem „Letter To You“ zu unterschreiben. Im Gegensatz zu Zürich funktionierten die ins Deutsche übersetzten Untertitel und ich musste über ein paar Zeilen schmunzeln. „Letter To You“ wirkte wie ein Versprechen, das sich in einer anderen Dimension fortsetzte und ich konnte mich nicht mehr auf meinen Sitzplatz halten, als ich das markante Mundharmonika-Solo zu „THE PROMISED LAND“ erkannte. Ja, es ist alles öd, der gleiche Alltagstrott, in dem Du gefangen bist. Dazu heulen die Hunde auf der Hauptstraße ihr Lied, weil sie verstehen, wenn ich nur einen Moment für mich einfangen könnte. Gegen Ende des Liedes, die dunkle Wolke ragt am Himmel auf, breche ich aus und puste alles Schlechte weg. Dazu heulen noch einmal die Hunde und ich versicherte mir dreifach, mit hocherhobenen Händen, dass ich an das Gelobte Land glaube.

Das Muster „Raus aus dem Alltagstrott“ vermittelt auch „Out In The Street“ mit dem einprägsamen „And Monday when the foreman calls time/ I’ve already got Friday on my mind” und ich rede so, wie ich rede, und ich gebe mich so, wie ich mich gebe. Doch nicht immer gelingen uns die Ausbruchsversuche, wie der Hohepriester des Rock’n’Roll uns in „Darlington County“ weismacht. Der Punkt geht definitiv an Zürich, weil Bruce so gelöst herüberkam, aber auch im Hamburger Volksparkstadion macht es Spaß, das „Shalalala lalalala“ mitzusingen. Ich grinste breit, als ich im Anschluss „Working On The Highway“ erkannte.

In „Kitty’s Back“ bemerkte ich eine gewisse Unruhe im Stadion, das sich aber im Vergleich zu Zürich in Grenzen hielt. Ansonsten war das Publikum sehr angenehm, zum Schluss regelrecht euphorisch. Es wurde wenig gequatscht, vielleicht war das dem recht lauten Klang im Stadion geschuldet und ich wusste oft nicht, ob ich die Rückkehr von Kitty auf der Bühne verfolgen sollte oder ein paar Reihen weiter unten, wo ein Fan das Lied geradezu feierte.

Ich erwähnte schon im Zürich-Bericht, dass ich von Springsteens Soul-Cover-Album nicht viel halte und „Nightshift“ demzufolge mich nur mäßig begeistert. Doch an diesem Sommerabend genoss ich es regelrecht. In „Mary’s Place“ wurde wieder das Zusammenkommen aller zelebriert und nach mehr als 20 Jahren hat das Lied nichts von seinem Zauber verloren:

An Steven Van Zandts Akustikgitarre erkannte ich, dass „THE RIVER“ kam. Auch wenn ich das Lied bei den vergangenen Tourneen oft gehört hatte, die Geschichte in und hinter dem Lied berührt mich immer wieder aufs Neue und so sang ich die traurige Ballade eines Arbeiters, der seinen Job verliert und seiner Angetrauten Mary mit, die sich mit dem Schicksal abfinden müssen. Da „The River“ tatsächlich von seiner Schwester handelt, die mit 17 ungewollt schwanger wurde, aber noch heute mit dem Vater des leider kürzlich verstorbenen Sohnes zusammen ist, setzte Springsteen die Erzählstruktur fort, indem er eine sehr berührende Einleitung zu „Last Man Standing“ gab. Da dieses Mal die Untertitel funktionierten und der Text im Gegensatz zu den Liedübersetzungen auch sinnvoll wiedergegeben wurde, wurde es im ganzen Volksparkstadion ziemlich still. Das Publikum verfolgte gebannt die Rede und ich sah die eine oder den anderen eine Träne aus dem Augenwinkel wischen. Ich bekam einen dicken Kloß im Hals und feuchte Augen begleiteten mich zum Lied „Last Man Standing“.

Freundschaft, Verrat, Erinnerungen, alles in einem einzigen Sommer, wurden in „BACKSTREETS“ erlebt. Nach dem „FORCED TO CONFESS“ flüchteten wir in den Seitenstraßen und verlieren doch nicht den Glauben, dass uns nichts geschehen wird wie in „BECAUSE THE NIGHT“. An das Gemeinschaftswerk von Bruce Springsteen und Patti Smith kann ich mich nie satthören und es ist jedes Mal ein Erlebnis, wenn Nils Lofgren zu seinem schwindelerregenden Gitarrensolo kommt.

Nach „She’s The One“ wurde in “Wrecking Ball” niedergerissen und in „The Rising“ wieder auferstanden. Ab „BADLANDS“ verzichtete ich wie viele andere in meinem Block auf den Sitzplatz und zum Glück blieb der Platz neben mir leer, so dass ich niemanden das „IT AIN’T NO SIN TO BE GLAD YOU’RE ALIVE“ ins Ohr schreien konnte!

„THUNDER ROAD“ bewies uns an diesem Sommerabend, dass nach knapp 50 Jahren wir uns immer noch einen Ausbruch erträumen können, auch wenn nicht alles perfekt werden wird. Ich realisierte, dass erst vor 20 Jahren, bei meinem ersten Springsteen-Konzert, der Funke zu mir übersprang und ich musste ein paar Tränen vergießen. Bruce Springsteen und seine legendary E Street Band verbeugten sich vor dem fantastischen Hamburger Publikum und starteten den Zugabenblock mit „Born To Run“. Manchmal rennt man weg, ohne dem besten Freund bescheid zu geben, wohin, wie in „BOBBY JEAN“. Das Bedauern mündete wieder in das herzzerreißende Saxophon-Solo, das Jake Clemons genauso brilliant beherrscht wie einst sein großer Onkel, Clarence Clemons. Ich brauche wohl nicht extra zu erwähnen, dass mich dieser Teil wieder zu Tränen rührte.

Über Freunde, die man wiedersieht, sich aber das Ganze doch eigentlich anders vorstellt, erlebten wir in „Glory Days“. Und was macht mensch mit der Zeit, die davonfliegt? An der Bar mit einem Bier anlehnen und vor sich hin sinnieren. Bruce und Steven fragten, ob wir nach Hause gehen wollen. Die Antwort vom Publikum war ein lautes „NO!“.

Dann eben nicht. Es dämmerte langsam, es wurde schon getanzt, so ging es zu „Dancing In The Dark“ weiter. Die meisten Lieder Springsteen wären ohne die E Street Band nicht möglich gewesen. So musste Tribut an die verstorbenen Mitglieder gezollt werden: Danny Federici und Clarence Clemons. Letzterer wurde mit seinem offiziellen Spitznamen „Big Man“ in „Tenth Avenue Freeze-Out“ verewigt und Scooter kündigte mitten im Lied den „important part“ an und… ich weiß nicht, wie oft ich das Video gesehen habe, aber es bewegt mich jedes Mal aufs Neue, die Szenen mit Federici und Clemons auf der Leinwand zu verfolgen.

Mit einem „Ohh yeahhh… it’s alright“ war das Konzert vorbei und Springsteen verabschiedete jeden einzelnen Mitstreiter. Als letzter ging Jake Clemons, vorher umarmen sich die beiden sehr herzlich, so dass ich wieder schlucken musste.

Zum Abschied gab uns Bruce Springsteen alleine mit Akustikgitarre ein „I’ll See You In My Dreams“, welches auch leidlich untertitelt wurde. Das Publikum lauschte andächtig dem Lied zu, in das Leben und Tod ganz nahe beieinander stehen und mit vielen konnte ich auch die letzten Tränen nicht zurückhalten.

Hamburg, Du bleibst unvergesslich!

8 Kommentare

  1. Ich habe Springsteen nie im Konzert gesehen, besitze viel Musik von ihm, aber Dein Bericht ist sehr gut beschrieben.
    (Neidisch Er ist)😉
    Bei Lofgren muss ich immer an No Mercy denken…
    Danke für das Teilen…🎸🎸🎸

    1. Oh, Springsteen muss man einmal erlebt haben. Nils Lofgren ist im positiven Sinne überqualifiziert für die E Street Band. Ich hatte das Glück, dass ich ihn einmal live bei einem Solokonzert gesehen habe. Es war genauso fantastisch.

  2. Oh, das finde ich ja bezaubernd! Ich habe gestern den ersten Bericht über den Boss in Kopenhagen bei Frau Kraulquappe gelesen. […]

    Und nun noch Du in Hamburg. Es gibt sie also noch, die Musik!

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