You Can’t Judge A Book By The Cover # 16: Stevie Van Zandt “Unrequited Infatuations”

Steven Van Zandt nutzte die Zeit des pandemiebedingten Lockdowns, um zehn Prozent seiner Erinnerungen niederzuschreiben. („This book is only the 10 percent I still remember.“, S. 150)

Mir fiel er in den frühen 1990er Jahren als Paradiesvogel auf, der sich in New Jersey einen Ruf als Musiker erarbeitet hat und ich sah ihn das erste Mal im Fernsehen, als er mit Bruce Springsteen zu „Glory Days“ herumkasperte.

Doch es dauerte noch Jahre, bis ich mich mit seinem Schaffenswerk auseinandersetzte, weil Bruce Springsteen die E Street Band wieder ins Leben rief und sie von da an mit wenigen Unterbrechungen sehr aktiv waren.

Auch gingen an mir die vielgelobten Fernsehproduktionen „The Sopranos“ und „Lilyhammer“ vorbei. Wissen Sie, ich habe überhaupt keinen Nerv für Filme im Fernsehen, die nicht untertitelt sind und für Netflix bin ich einfach zu oldschool.

Erst in 2017 begann ich, mich ernsthaft mit ihm zu beschäftigen. Da brachte er nach 18 Jahren ein neues Album namens „Soulfire“ heraus und ich sah ihn das erste Mal mit seiner Band, Disciples of Soul, in der Wiener Staatsoper.

Besser wurde es zwei Jahre später mit „Summer Of Sorcery“. Von den in 2019 veröffentlichten Alben meiner Lieblingsmusikanten landet „Summer Of Sorcery“ auf Platz 1. Und dann kam noch das unvergessliche Konzert im Erfurter Gewerkschaftshaus.

Nachdem ich im Mai 2021 im deutschen Springsteen-Fan-Forum die Ankündigung las, dass Steven Van Zandt im Herbst des gleichen Jahres seine Memoiren veröffentlichen würde, stellte ich mir die altbekannte Frage: „Kaufst Du Dir die Originalausgabe oder die deutsche Übersetzung?“ Ich erwartete eine komplexe Lektüre, die sich sicher nicht nur um Bruce Springsteen drehen würde, doch da ich eh viel zu selten die englische Sprache praktiziere, entschied ich mich eben für diese Ausgabe.

Wie bei den meisten Biographien beginnt Steven Van Zandt auch mit seiner Kindheit und Jugend. Doch landen wir schnell mit dem Jugendlichen im musikalischen New Jersey, wo er schließlich Bruce Springsteen und Southside Johnny begegnet. Nein, ich werde hier nicht die Anekdoten mit Bruce Springsteen ausplaudern und ich finde es von Van Zandt gelungen, wie er die Freundschaft zu Bruce betont und wohldosiert die sehr lesenswerten Passagen einstreut. Interessant war auch zu lesen, wie der Autor mit seiner Rolle als „Consigliere“ Parallelen zieht: Im wirklichen Leben zu Bruce Springsteen, in der Fiktion als Silvio Dante in der TV-Produktion „The Sopranos“. (Wird doch wohl Zeit, mir diese Serie zu geben?)

Doch kämpft Steven Van Zandt auch immer wieder, aus den vielen Schatten herauszutreten und sein politisches Engagement in den 1980er Jahren liest sich teilweise wie ein Krimi an. Ich bedachte auch vorher nicht, wie viele Mühen er auf sich nahm, um das Lied und anschließend das dazugehörige Video von „Sun City“ zu produzieren.

Van Zandt gibt auch offen die Enttäuschungen, Fehler und Rückschläge zu und nimmt auch auf sich selbst keine Rücksicht. Er ist halt einer, der stets an das Gute im Menschen glaubt.

Seinen Sprung ins kalte Wasser, um 1982 endlich als Solokünstler bzw. Kapellmeister der Disciples of Soul durchzustarten, liest sich wie eine gefühlsmäßige Achterbahnfahrt. Seine unendliche Dankbarkeit für das europäische Publikum schätze ich sehr. Der Kulturschock in 1980 während der „The-River“-Tournee war schnell vergessen, wenn es um fehlenden Erdnussbutter ging, nicht aber seinen Besuch in Ostberlin, das er mit „Checkpoint Charlie“ musikalisch verewigte.

Interessanterweise ist von seinen ursprünglichen Disciples of Soul nicht viel zu lesen, außer dass er in den Jahren 2017 bis 2019 die beste Liveband hinter sich hatte.

Nachdem Van Zandt erkannte, dass auch er nicht die Welt zum Guten verändern kann, legte er in den 1990er Jahren die Rolle des Weltverbesserers ab und seit dem 21. Jahrhundert engagiert er sich für TeachRock.org und leistete für die NGO „Little Kids Rock“ auch einen wichtigen Beitrag:

Ich könnte noch mehr schreiben, aber lesen Sie bitte das sehr unterhaltsame und zum Nachdenken anregende Buch. Ich habe es sehr bedauert, dass „Unrequited Infatuations“ schon nach knapp 400 Seiten zu Ende ging.

Zwar musste ich bei einigen Begriffen zum Langenscheidt greifen, aber ich wende auch die Technik des zusammenhängenden Lesens an und das hat bei diesem Buch gut funktioniert.

Ein Musikvideo bekommen Sie noch, keine Sorge!

Auf Seite 235 im Buch erwähnte Steven Van Zandt, dass er sein bisher wichtigstes Lied geschrieben hatte. In einem Hotelzimmer in Mailand, mit Blick auf den Dom. Mehr nicht. Aber es ist auch eines der wichtigsten Lieder für mich:

Weiterführend:

https://www.hachettebookgroup.com/titles/stevie-van-zandt/unrequited-infatuations/9780306925436/

https://www.rollingstone.com/music/music-news/steve-van-zandt-memoir-unrequited-infatuations-1145676/

6 Kommentare

  1. Für mich ist Steven Van Zandt ein mässig interessanter Rockmusiker und ein symphatischer Darsteller des Mafiaboss Silvio Dante in der TV-Serie „The Sopranos“. Zudem dürfte er einer der grössten amerikanischen Ramones-Fans sein, was er in seiner Radio-Show „Little Steven’s Underground Garage“ auch immer wieder betont: https://www.undergroundgarage.com/

    1. Ich fand das Buch unterhaltsam und eine Lektüre wert.
      Die Leidenschaft für die Ramones hat SVZ nicht im Buch explizit erwähnt, dafür die für „The Youngbloods“ und „The Rascals“. Mit den Rascals hat Steven im Buch „abgerechnet“, weil seine idealistischen Comebackversuche in einem finanziellen Desaster endeten.

  2. Van Zandt kenne ich fast gar nicht (obwohl ich früher oft Bruce Springsteen gehört habe, ging Van Zandt unbemerkt an mir vorbei) – aber die Sopranos werde ich mir auch demnächst mal geben. Schönen Sonntagabend!

    1. Hmm, was nichts ist, kann noch werden. Dabei bin ich recht antriebslos, wenn es um „Filme kaufen“ geht. Ich schaue oldschool fern, habe mir eben im ARD den Tatort aus Dortmund gegeben und einen schönen Sonntagabend gehabt. Übrigens, die Anzahl meiner Filme auf DVD/BluRay steht in einem krassen Missverhältnis zu der Anzahl meiner Musik-CDs.

  3. Auf deine Empfehlung im Springsteen-Forum hin dachte ich mir: Das kannste dir schenken.
    Aber welche Ausgabe? Aufgrund zu kleiner Traute in meine Englisch-Kenntnisse habe ich die deutschsprachige gekauft. Intuitiv meine ich nach der Lektüre, dass man merkt, dass es eine Übersetzung ist. Im Original ist vermutlich noch mehr Spritzigkeit zu finden.
    Stevie Van Zandt war mir zu DDR-Zeiten als Mitglied der E-Street-Band und als Initiator der Sun-City-Aktion ein Begriff. Dass es ein Album dazu gab, wusste ich damals nicht, kannte nur Single und Video.
    Es ist bemerkens- und bewundernswert, was für verschiedene Projekte er in Angriff nimmt und umsetzt. Was für eine vielseitige Kreativ-und Aktions-Person!
    Danke fürs empfehlen.
    J_G

    1. Danke für Deinen Kommentar und es freut mich, dass Du (zumindest) die deutsche Ausgabe gelesen hast.

      Wie Du es schon erwähnt hast, SVZ ist eine vielseitige Person und hat eine sehr interessante Lektüre vorgelegt.

      Liebe Grüße aus Wien!

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