You Can’t Judge A Book By The Cover # 22: Leonardo Colombati “Like A Killer In The Sun: Selected Lyrics 1972 – 2017″

Die Erstfassung erschien 2007 unter dem Titel „Bruce Springsteen. Come un killer sotto il sole – Il grande romanzo americano (1972-2007)” beim Verlag Editore Sironi.

Für die englischsprachige Ausgabe wurde das Buch um ein weiteres Vorwort von Dave Marsh ergänzt, auf das ich nicht näher eingehen möchte. Dafür ist das Vorwort von Ennio Morricone sehr lesenswert. So sieht er Bruce Springsteen „rather a singer-songwriter than a storyteller“ und hebt seine filmischen Lieder wie „Jungleland“, „Racing In The Street” und “The River” hervor.

Colombatis Einführung “The Great American Novel” zeigt, dass der Leser es nicht nur mit einem großen Fan von Bruce Springsteen zu tun hat, sondern auch mit einem professionellen Literaturjournalisten. Er verweist auf interessante historische Bezüge und geht auch sehr in die Tiefe. Mir gefällt Colombatis Feststellung auf Seite 28: „[…] each new album picks up where the last one left off, like the chapters of a novel.“

Auf Seite 129 kündigt der Autor 91 ausgewählte Lieder in drei großen Themengebieten an. Die Texte zu den 91 Liedern sind im Buch abgedruckt. Colombati erlaubt sich die Freiheit, die Texte mit Interpunktionen zu versehen, damit sie wie Prosa herüberkommen. Das geht dann über 150 Seiten lang und nun wird es spannend: Wird das so ähnlich wie bei June Skinner Sawyers „Tougher Than The Rest“?

Zu „Used Cars“ schreibt Colombati oder der Übersetzer auf Seite 298, dass Springsteen das Lied am 10. Juni 2009 bei einer Wahlkampfveranstaltung für Barack Obama gespielt hat… ja, ich gebe gerne zu, ich suche und finde auch Fehler… aber wenn das auf Colombatis Mist gewachsen ist, dann frage ich mich, wie er sich so als Springsteen-Fan deklarieren kann, der etliche Konzerte besucht hat und nicht vielleicht ein bisschen nachdenkt, dass Obama am 10. Juni 2009 bereits Präsident der USA ist und Bruce an diesem Tag mit der E Street Band ein Konzert im norwegischen Bergen gespielt hat. (Übrigens, die oben erwähnte Wahlkampfveranstaltung mit dem Lied fand am 6.10.2008 statt!)

Eine Seite weiter blieb mir dann die Luft weg, als ich zu „Mansion On The Hill” folgendes las: “[…] Johnny Cash covered this on the 2000 album “Badlands: A Tribute to Bruce Springsteen’s Nebraska”.”

Doch die oben beschriebene Empörung legte sich mit jeder gelesenen Seite. Ähnlich wie Skinner Sawyers in „Tougher Than The Rest“ geht Colombati wissenschaftlich an seine „selected lyrics“ heran, er geht aber akribischer vor und erläutert auch sehr ausführlich zu den Eigennamen in den Texten. Auch zitiert er die ursprünglichen Zeilen zu den einzelnen „Lyrics“, die dann von der Endfassung ziemlich abweichen. Darüber hinaus lässt er auch Interpretationsspielraum, auch aus anderen Quellen, zu.

Das Buch wird mir doch sympathisch, blöd finde ich nur, dass die Erläuterungen erst NACH all den abgedruckten Liedtexten zu lesen sind und nicht schon nach dem entsprechenden Liedtext. Ein weiterer Nachteil des Buches ist: Möchte ich irgendwann einmal die Erläuterungen zu einem bestimmten Lied nachlesen, kann ich ewig blättern; dagegen ist die genaue Seitenzahl bei den Lyrics angegeben, was ich vollkommen überflüssig finde, da es mehrere Zugangsmöglichkeiten für die Liedertexte gibt.

Gegen Ende von Colombatis wissenschaftlichen Schriften, die doch sehr interessant dargelegt werden, bedaure ich es, dass er nicht noch mehr „Lyrics“ von Bruce Springsteen untersucht hat.

Nach der eigentlichen Lektüre geht es nun zum umfangreichen Anhang: Die Biographie von Bruce Springsteen wird lesenswert vorgeführt und vergessene Details werden neu entdeckt. Sie endet mit 2016. Für ein sehr ereignisreiches Jahr ist dieser Eintrag merkwürdig kurz.

Abschließend werden Prominente wie Tom Waits oder Sean Penn zitiert, was Bruce Springsteen für sie bedeutet.

Zum äußeren Erscheinungsbild des Buches fällt mir auf, dass Titel und Überschriften dem Schriftbild des „Born To Run“-Album ähneln.

Alles in allem hat mir das Buch doch gefallen, aber ich kann es nur lesebegeisterten Springsteen-Fans empfehlen.

Die Phrase „Like a Killer in the Sun” kommt im Liedtext von „Thunder Road“ vor. In der abschließenden Biographie hob Colombati das Konzert am 3. Juni 2013 im Mailänder San Siro hervor. Ja, es ist schwierig, mich für eine Version von „Thunder Road“ zu entscheiden, aber warum soll ich nicht meine liebste, mein persönlichstes nehmen?

 

Ergänzend:

https://manhattanbookreview.com/product/bruce-springsteen-like-a-killer-in-the-sun-selected-lyrics-1972-2017/

2 Kommentare

  1. Schade. Ich meine, schade, dass es irgendwann keine Rocklegenden oder Musiklegenden mehr geben wird, die so lange Einfluss auf Musikgeschichte und die Herzen ihrer Fans haben. Das Streben, das Werden und das Ringen um Wahrheiten. Fallen und wieder aufstehen.

    Es ist deutlich zu kritisieren, wieviel Eintagsfliegen einen Plattenvertrag und eine Konzerttour als Sieger/Siegrin in einer Talent-Show gewinnen, ihre Million abräumen (ich meine Geld) und dann für den nächsten das Feld räumen. „Jah, liebe Enkel, wir haben unsere Musik noch vom Taschengeld gekauft und sie auf den Plattenteller gelegt.“ Heute YouTube.

    Bruce Springsteen hat auch Plattenverträge, geht auf Tour. Ist auch in Internet-Videoclips zu sehen. Doch er braucht keine 10 Stylisten, keine Tanz- und Stimmtrainer, für einen Dudelsong, bei dem armer Produzent mit Technik das kaschieren muss, was dem Talent als Talent fehlt. Berührt das jemanden? Nein.

    Darum geht es heute nicht. Keine Berührung, keine Rührung, keine Ehrlichkeit, keine Ecken und Kanten und keine Erfahrung – brauchen wir alles nicht mehr. Ist nicht mehr Zeitgemäß.

    Ich kenne nicht mal den Namen der aktuellen Eintagsfliege, die Musik ist sowieso immer dieselbe. Doch dass Du Literatur über Deinen Star liest, und das rezensierst, bedeutet doch auch, etwas über einen Musiker zu lesen, der authentisch, wie er ist, Geschichte geschrieben hat. Und Lesen ist sowas von „out“! ;-) Buch tut aber gut!

    Übrigens habe ich auch so meine Lieblingsbands und habe schon immer alles über sie verschlungen. Und es hat mich auch immer aufgeregt, wurden da die Fakten nicht gründlich recherchiert! :-(
    Danke für Deine Einblicke!

    1. Danke für Deine Worte.

      Auch wenn es im Blog nicht so rüber kommt, momentan ist mein „Verhältnis“ zu meinem Star etwas angeknackst. Kürzlich musste er in unzähligen Interviews, ursprünglich um sein Cover-Album zu bewerben, sich immer wieder der Frage zu den überteuerten Kartenpreisen (vor allem in den USA) stellen und seine Reaktion fiel überwiegend weltfremd aus.

      Das neue Album habe ich mir noch nicht gekauft. Das Werk ist mittlerweile so viel wert, dass Du es Dir komplett auf YouTube anhören kannst. Ansonsten betrachte ich YouTube als eine gute Ergänzung zu meiner Musiksammlung und es fallen mir nach 30 Jahren hier und da musikalische Fernsehauftritte ein, die ich mir auf Youtube wieder anschauen kann. (Ich sag nur: „ZDF-Hitparade“.)

      Dennoch bleibe ich der originären Musik von Springsteen verbunden. Ich kann nicht 25plus Jahre einfach wegwerfen. Und es bereitet mir Freude, solche Bücher zu lesen. Neue Erkenntnisse zu gewinnen, Antworten auf unbewusst gestellte Fragen zu finden, sich über scheinbar abstruse Behauptungen zu wundern, sich mit der hauptsächlich englischen Sprache auseinanderzusetzen und sie zu rezensieren. Auch wenn die Rückmeldungen bisher spärlich gekommen sind. Doch freue ich mich schon auf das nächste Buch und demzufolge auf die nächste „Schreibarbeit“.

      Was aktuell angesagt ist, will ich oft nicht wissen, aber sollte ich einen nennen, fällt mir nur Betterov ein.

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