You Can’t Judge A Book By The Cover # 15: Benedict Wells „Hard Land“

Zugegeben, folgendes Buch nach dem Umschlag zu urteilen, ist etwas unglücklich formuliert. Aber ich nehme dieses Buch in diese Reihe auf, weil: Beim Titel „Hard Land“ denkt der leidenschaftliche Springsteen-Fan doch gleich an das Lied „This Hard Land“, was mir auch passiert ist, als ich im WordPress-Reader mithilfe des Schlagwortes „Springsteen“ nach relevanten Beiträgen suchte.

Und ich stieß auf nicht wenige Rezensionen zum Buch von Benedict Wells. Ich wollte es nun auch wissen, worum es geht und las vor wenigen Tagen das Buch in fast einem Rutsch.

Bevor ich zu meinen persönlichen Ansichten komme, möchte ich erwähnen, dass die von mir gelesenen Rezensionen überwiegend positiv, geradezu euphorisch ausfielen und oft wurde der erste Satz in diesem Roman erwähnt. Ich werde ihn hier nicht zitieren. Aber im Laufe der nächsten Seiten erschloss sich mir die Bedeutung des ersten Satzes in einem Roman. Mir selbst bleibt bei all den von mir gelesenen Büchern kaum der erste Satz hängen außer in Remarques „Der Funke Leben“. Was für mich spricht, dass ich nicht so auf den ersten Satz eines Romans fixiert bin. Eher entscheidend sind die ersten hundert Seiten, ob ich das Buch weiterlese oder abbreche.

Gut. Kann jemand, der erst 1984 geboren und in München aufgewachsen ist, den Sommer 1985 in einem fiktiven Ort im US-amerikanischen Bundesstaat Missouri erleben lassen?

Es geht. Konzentrieren Sie sich auf den Protagonisten Sam, der in diesem Sommer 16 wird, nicht zu der Verwandtschaft nach Kansas will, stattdessen einen Job in einem Kino annimmt und somit Cameron, Hightower und Kirstie kennenlernt. Die drei, etwas älter als Sam, lehnen zunächst den Jungen ab, weil sie noch diesen einen Sommer gemeinsam verbringen möchten, bevor sie sich in verschiedene Richtungen zerstreuen, um an den jeweiligen Colleges zu studieren.

Doch Sam, der geborene Außenseiter, wird nach und nach in diese auch etwas besondere Gruppe aufgenommen und erlebt einen einzigartigen Sommer mit all seinen Schattierungen.

Und Benedict Wells gelingt es, sich in einen Jugendlichen mit 15, 16 zu versetzen, weil er einmal 15, 16 war. So wie ich auch einmal 15, 16 war und mag dieser Roman von einigen als klischeehaft bezeichnet werden, ich verstand und fühlte Sam. Der Roman wird aus seiner Sicht erzählt, die Sprache wirkt jugendlich-nachdenklich-grübelnd. Und sehr bildhaft.

„[…] mein Selbstbewusstsein war wie eine kaputte Batterie, die sich nach jedem Rückschlag vollständig entlud, […]“ (S. 134)

Auch wenn in diesem Roman der Titel „Hard Land“ nicht direkt mit Bruce Springsteen zu tun hat, so tektoniert sich dieses „Hard Land“ durch diesen Sommer 1985 zunächst ganz unscheinbar im Hintergrund und erst am Schluss, formt es sich zu einer Pointe.

Bruce Springsteen kommt vor, keine Frage. Und während des Lesens assoziierte ich einige Sätze, Handlungen, Figuren mit Springsteens Leben und Schaffenswerk. Da ist einmal das Verhältnis zwischen Sam und seinem Vater, das mich sehr stark an Bruce und Douglas Springsteen erinnert. Die Außenseiterrolle von Sam wird durch sein Nichtvorhandensein in der Schule verkörpert, was Springsteen damals auch erlebt hat. Der beste Freund von Sam, der in diesem Sommer aus Missouri weggezogen ist und sich nicht bei ihm meldet, zufällig Stevie heißt, lässt in mir die ersten Takte von „Bobby Jean“ hören.

Hightower dagegen erinnert mich an Clarence Clemons und wenn Benedict Wells durch Sams Augen sein Heimatort beschreibt, scheinen ein paar Textauszüge aus „My Hometown“ auf. Auch versucht sich Sam an das Schreiben von Liedtexten und auf Seite 166 „[…] Ich hatte einen Ohrwurm von einem neuen Song und tänzelte ein paar Schritte, dann sah ich einen imaginären Ball auf mich zurasen und schwang wie beim Baseball durch…“ erschallten in mir die ersten Gitarrenriffs aus „Glory Days“.

Doch der Schluss hat mich nicht sehr begeistert. Wahrscheinlich, weil ich vom ganzen Roman ziemlich gefesselt war, laut mitlachen konnte, sogar weinen musste, war die Pointe etwas enttäuschend. Ich habe mir halt ein anderes, etwas traurigeres Ende vorgestellt. Aber der Schluss beeinflusst nicht das ganze Buch. Ich war fasziniert von den sprachlichen Bildern, die Benedict Wells gemalt hat und beim Lesen ertappte ich mich dabei, wie ich immer wieder Pfade in meiner Jugend durchstreifte.

Und: Wieso ist keiner früher draufgekommen, die Wörter Euphorie und Melancholie zu einer stimmigen „Euphancholie“ zu vereinigen?

Alles in allem, ein wunderbares Buch, das ich sicher wieder lesen werde!

Weiterführende Links:

https://www.hard-land.de/

https://benedictwells.de/

https://klappentexterin.wordpress.com/2021/04/18/weil-das-leben-auch-an-grenzen-geht-benedict-wells-im-gesprach/

https://www.daserste.de/information/wissen-kultur/druckfrisch/videos/druckfrisch-wells-video-100.html

Weil Benedict Wells in München geboren ist, Bruce Springsteen bei diesem Konzert dieses Lied spielte und ich vor Ort war – bleiben Sie mit mir „hard, hungry and alive“:

9 Kommentare

  1. Ich mag den Spruch „You can‘t judge a book…“, ich mag Deine Rezension und „Born in the USA“ von Springsteen habe ich auch im CD-Regal stehen. Habe ich gerade CD-Regal gesagt…? 😉😄

    1. Hm, für den einen ist ein CD-Regal ein schlichtes Brett von einem Meter Länge, für den anderen ein Gestell, wo mindestens 500 CDs Platz finden.

      Und danke für den Zuspruch!

      Liebe Grüße nach Erfurt!

      1. Ja, ich meinte es im Hinblick auf das schon bald altmodisch anmutende Regal mit CD‘s, wo wir doch heute Playlisten haben 😃😉 Grüße und ein schönes Wochenende!

      2. Ich steh dazu: Es fällt mir schwer, Verständnis für Menschen aufzubringen, die ihre Sammlung von Büchern und CDs nur mehr in digitaler Form haben. Bei Bücher sträube ich mich nach wie vor dagegen, mir ein elektronisches Lesegerät anzuschaffen. Musik in digitaler Form betrachte ich eher als angenehme Ergänzung.

        Liebe Grüße von einer aus dem Team „CD-Regal-mit-mindestens-500-CDs“ ;-)

      3. 500 ist eine ordentliche Zahl! Ich nutze einen e-book Reader ergänzend. Inzwischen schätze ich die Möglichkeit, die Schriftgröße auf „groß“ oder „sehr groß“ einstellen zu können. 😉😃

      4. Zahlen sind relativ ;-) auf jeden Fall achte ich darauf, dass ich nicht zu einem „Messie“ werde.
        Ich erinnere mich an eine kurze Unterhaltung mit einer Person, die ein elektronisches Lesegerät hatte. Ich sprach sie deswegen darauf an und sie berichtete mir, dass sie auch weiterhin analog liest, aber am elektronischen Gerät nutzt sie den Vorteil, englischsprachige Bücher zu lesen und kann auf ein unbekanntes Wort klicken, um sich die deutsche Übersetzung anzeigen zu lassen.
        Das ist schon eine feine Sache, aber ich bleibe vorerst bei den fassbaren Büchern. Da kann ich auch etwas mit Bleistift unterstreichen, Notizen hinterlassen usw. – was ich auch mit dem besprochenen Roman gemacht habe. Übrigens, aus Solidaritätsgründen mit dem stationären Buchhandel hat Benedict Wells sich entschieden, diesen Roman nur als gedruckte Ausgabe veröffentlichen zu lassen.

      5. Genau, Übersetzungen, ein integriertes Wörterbuch und das leichte Festhalten des Readers sind echte Vorteile. Und es gibt auch viele Klassiker umsonst. Trotzdem möchte auch ich nicht ohne echte Bücher sein. Ungewöhnlich, dass Wells, zumal er so jung ist, den von Dir erwähnten Weg gewählt hat.

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