30.06.2018 – Billy Joel in Hamburg

2018-06-30_tixDie Musik von Billy Joel höre ich schon sehr lange. Es begann in 1993 mit „The River Of Dreams“, aber so richtig aufmerksam wurde ich durch die Videos von „We Didn’t Start The Fire“ und „Leningrad“. Also kaufte ich mir an einem Tag im Jahre 1996 „Storm Front“. Seitdem ist er nicht mehr aus meinem musikalischen Leben wegzudenken. In meinen Zehnerjahren ließ ich Billy den Vortritt, wenn ich Bruce Springsteen nicht (mehr) hören konnte.

Ein Traum ging für mich in Erfüllung, als Billy Joel am 26. Juni 2006 ein Konzert in der Wiener Stadthalle spielte. An die – für damalige Verhältnisse – unverschämten Kartenpreise kann ich mich gut erinnern, wobei ich für eine Karte der dritten Preiskategorie 100 EUR zahlte. Aber der Abend war es wert: „The Downeaster Alexa“, „Leningrad“, „Allentown“ (Unvergesslich, wie eine Konzertbesucherin im Parkettbereich, sie ganz allein, sich von ihrem Sitz erhob und zu diesem Lied hingebungsvoll tanzte.), „An Innocent Man“ (Gänsehaut pur! Auch als die Leute zur Bühne strömten.), „We Didn’t Start The Fire“ und „Scenes From An Italian Restaurant“. „I Go To Extremes“ und ich wurden endlich Freunde, nach 12 Jahren spüre ich immer noch meinen damals dehydrierten Zustand, als ich zu diesem Lied total ausflippte und lauthals mitsang. Für die Einlage von „Highway To Hell“, die Billys Roadie, Ricky „Chainsaw“ Lapointe, hinauskreischte, hatte ich nur Verwunderung übrig.

Wenige Tage später erfuhr ich aus dem Internet, dass „Uptown Girl“ daran glauben musste.

WAAAAAAS??? AAAAAHHHHH!!! „UPTOWN GIRL“?!?! FÜR DIESE NUMMER???

Zwar habe ich es nicht jedem erzählt, aber seit Ende Juni 2006 knabbere ich daran, dass ich sooo knapp an „Uptown Girl“ war. (Und dass ich kein Fan von AC/DC bin, ist eh klar und „Highway To Hell“ geht mir seit diesem Vorfall an meinem Allerwertesten vorbei…)

Ich weiß nicht, ob ich nachher mit den Gedanken gespielt habe, Billy Joel noch einmal live erleben zu wollen. Er kam auch nicht wieder nach Europa zurück. Bis ich vor zwei Jahren ein E-Mail von Eventim erhielt: Billy Joel im September 2016 in Frankfurt/Main. Die Versuchung war groß. Ich schwankte ständig zwischen „Ja“ und „Nein“. Schlussendlich entschied ich mich dagegen. Auch auf die Gefahr hin, „Uptown Girl“ zu versäumen, argumentierte ich meine Ablehnung mit den vier Konzerten von Bruce Springsteen, halb so vielen von Patent Ochsner in Bern und meinen Heimaturlaub trat ich erst eine Woche später an. Und, ich wollte mir – trotz allem – die schöne Erinnerung von 2006 nicht verderben lassen.

Im Nachhinein war ich froh über die Entscheidung. Ich las emotionale Berichte und heftige Kritiken über die miserable Akustik im Frankfurter Waldstadion.

Im vergangenen November erhielt ich wieder ein E-Mail von Eventim mit der ungefähren Betreffzeile: Billy Joel 2018 in Deutschland. Ich nahm mir ein „Sollte er in einer attraktiven Stadt spielen, dann überleg nicht lange!“ vor. Ich klickte das E-Mail an und las, dass er in Hamburg spielen würde. Hamburg! Ich schlug zu.

193403Bis ich meinen Platz im Innenraum des Volksparkstadions einnahm, fuhren meine Gedanken in der Zwischenzeit Hochschaubahn: Wird der Platz ok sein? (Ich bin noch nie im Innenraum eines Stadions gesessen.) Hoffentlich ist der Klang akzeptabel. (Das Gespenst von Frankfurt/Main 2016 geht um.) Hör auf, Dich so auf „Uptown Girl“ zu fixieren! (Obwohl, schön wär‘s…)

Neben meinem Platz saß ein Bursche, der ungefähr in meinem Alter war und er schien auch allein gekommen zu sein. So sprach ich ihn mit einem „Erstes Konzert hier?“ an. Er antwortete, dass er schon 2016 in Frankfurt am Main war und konnte mir die Geschichte mit dem miserablen Klang bestätigen. Im Laufe des Gespräches stellte es sich heraus, dass er selbst aus Frankfurt am Main kommt und wir beide sogar gleichzeitig mehrere Konzerte von Bruce Springsteen besucht haben. Ich erzählte ihm, dass ich 2006 bei Billy in der Wiener Stadthalle war und musste natürlich meine „Uptown Girl“-Geschichte erwähnen.

Dank der netten Unterhaltung mit ihm verging die Zeit bis zum Konzertbeginn recht schnell, obwohl das Konzert trotz „pünktlicher“ Ansage um ca. 20:20 Uhr begann.

Billy Joel war noch nicht auf der Bühne, schon erhoben wir uns von den Sitzplätzen und die ersten von gefühlten hundert stehenden Ovationen begannen.

„Ode an die Freude“ eröffnete den lauen Sommerabend und Billy legte mit „My Life“ los. Meine Sicht zur Bühne war in Ordnung, natürlich besser, wenn ich stand (was ich die meiste Zeit tat) und am Klang war auch erst einmal nichts auszusetzen. „I don’t care what you say anymore, this is my life/ Go ahead with your own life and leave me alone“.

Nach einem „Guten Abend Deutschland!“ ließ Billy Worte des Mitleids fallen, als er einen Teil des Publikums entdeckte, die sonnengeblendet auf den Rängen saß. Er bot ihnen sogar seine Sonnenbrille an und nun hatte er eine weiße Fliegenklatsche in der Hand, wedelte diva-mäßig damit und kehrte den „Entertainer“ heraus.

204525„I am the entertainer and I know just where I stand“ nahm mich gefangen und ich realisierte mit diesem Lied, dass ich – mehr als 24 Stunden auf den Beinen inklusive stressigem Flug – in Hamburg auf einem Konzert von Billy Joel war!

Der „Entertainer“ wurde seinem Ruf gerecht, so ließ er das nächste Lied per Publikumsentscheid spielen. Er erwähnte sein überaus erfolgreiches Album „The Stranger“ und würde „Just The Way You Are“ spielen. Lautes Gejohle. Ich stimmte auch mit ein. Dann fiel das Wort „Vienna“. Ohrenbetäubendes Geschrei. Ich erst recht.

Auch wenn ich das wunderschöne „Just The Way You Are“ live noch nie gehört habe und „Vienna“ schon vor 12 Jahren bekam, genoss ich es sehr, das Lied wieder zu hören. Es passte einfach zu meiner Situation. Von der österreichischen Hauptstadt reisten wir weiter zum halbautonomen Teilstaat vom ostafrikanischen Tansania, „Zanzibar“.

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„Vienna“

Selbst wenn Billy fast jedes Lied anmoderierte, verstehen konnte ich nicht immer. Der Hall im Stadion war extrem stark, wenn Billy sprach (sprach) und manche Lieder (Lieder) konnte ich auch nicht sofort erkennen (erkennen). Beim nächsten Lied machte Billy die unverkennbare Geste für „Geld“. Daumen und Zeigefinger aneinander reiben, aber ich wusste nicht, was er damit meinte. Hätte ja „Stiletto“ sein können, aber er dürfte auf die Fischerstadt Hamburg beziehen. Als ich die ersten Zeilen von „The Downeaster Alexa“ registrierte, sprang ich wieder auf und sang aus voller Kehle mit.

Für das finale „Ayayeeee-oooo“ genierte ich mich nicht. Es war so laut im Stadion und ich war mir sicher, dass niemand im Publikum hörte, dass ich alles andere als gut singen kann.

Nach dem treibenden „Movin‘ Out“ erlebte ich, dass auch die schlechte Akustik im Stadion sich in das eine oder andere Lied hineinschlich. Es tat unglaublich weh, dass „Leningrad“ davon nicht verschont blieb. Wer das Lied kennt, weiß, dass die erste und dritte Strophe bedächtig vorgetragen werden und da hörte ich das Echo ganz stark, aber sobald in den anderen Versen die restlichen Instrumente donnerten, wurde das Echo verschluckt. Nichtsdestotrotz war es schön, das Lied zu hören und nach dem prägenden „We never knew what friends we had/Until we came to Leningrad“ wurden meine Augen etwas feucht.

Das Zischen der Dampfpfeifen kündigte einen Ortswechsel an. Es gibt Stücke, die Billy immer wieder spielen muss. Dazu gehört auch „Allentown“, ein packendes Lied über den Niedergang der Stahlindustrie.

So auch das nächste Lied. Als eine Reminiszenz an frühere Zeiten setzte Billy Joel seine Sonnenbrille auf und schickte eine Liebeserklärung an New York. Optisch war „New York State Of Mind“ auch ein Erlebnis, als wir auf den großen Videoleinwänden das beleuchtete Hochhäusermeer der Stadt erblickten. Zwischen den Hochhäusern tauchten Billy und sein langjähriger Bandkollege, Mark Rivera, der sein unverwechselbares Saxophonsolo ablieferte, auf.

„Don’t Ask Me Why“ dürfte anscheinend beim Publikum nicht gut angekommen sein. Ich frage mich, warum zu diesem Zeitpunkt viele Leute im Innenraum unruhig wurden und es herrschte ein reges Kommen und Gehen. Ich nehme den Titel mal wörtlich…

Anschließend folgte eine Einlage von Procol Harums „A Whiter Shade Of Pale“, bevor die Kameramänner den Damen in den ersten Reihen Sendezeit einräumten: „She’s Always A Woman“ bekam eine romantischere Note verliehen, als wir auf den Leinwänden viele glückliche Gesichter zu sehen bekamen.

In Sachen Klang gehörte das nächste Lied zu den grottenschlechtesten, aber optisch war es auch wieder ansprechend. Ein ähnliches Video gibt es hier. Dennoch bekam ich in den nächsten Tagen „Sometimes A Fantasy“ nicht mehr aus meinen Gehörgängen, wollte ich manchmal nicht glauben, dass ich ein fantastisches Konzert von Billy Joel erlebt hatte und endlich in Hamburg war.

Billy hängte sich die E-Gitarre um. Dem Frankfurter, der auch das Konzert genoss, beschwor ich, dass eigentlich nur „We Didn’t Start The Fire“ kommen würde. Die Gitarre kreischte auf und eine Art Déjà-vu-Erlebnis packte mich. Kein Geringerer als Ricky „Chainsaw“ Lapointe stürmte die Bühne und verdonnerte uns auf der „Highway To Hell“. Ich sank in meinem Sitz zusammen und hoffte, ein einziges Mal, für die nächsten Minuten, dass die Zeit schnell vergehen möge.

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Das (fast) ganze Publikum tobt bei „Highway To Hell“.

Nach „Only The Good Die Young“ war das folgende Lied unschwer zu erkennen. Das gospelähnliche Intro leitete DIE Messe im Hamburger Volksparkstadion ein.

„The River Of Dreams“ war das erste Lied, was ich bewusst von Billy hörte und sah. Mir hat das Video, das damals ständig auf MTV lief, gefallen: Die Sepiafarbe, der leicht ergraute Billy, das Klavierspiel, der Gospelchor. Aber erst nach dem Lesen des Textes wurde mir die eigentliche Bedeutung bewusst und ich bin der Meinung, „The River Of Dreams“ gehört zu den stärksten Texten, den Billy in seiner 25jährigen Liederschreibkarriere erschaffen hat.

Musikalisch ist Billy Joel schwer in einer Schublade einzuordnen. Ja, er ist der „Piano Man“, aber seine Werke sind durch Ausflüge in verschiedene Musikrichtungen wie Blues, Country, Jazz, Klassik und Rock geprägt. So war es nicht weiter verwunderlich, dass Billy beim nächsten Lied seinen Gitarristen Mike DelGuidice den Vortritt ließ und dieser mit „Nessun Dorma“ das Stadion in eine schlecht beschallte Oper verwandelte. (Interessante Randbemerkung: Mike DelGuidice ist Kopf der Billy-Joel-Tributeband namens „Big Shot“. So wurde das Original auf ihn aufmerksam und engagierte ihn für seine Liveband.)

Zum Glück durfte das epische „Scenes From An Italian Restaurant“ nicht fehlen. Die Geschichte von Brenda & Eddie gehört zu den lyrischsten Liedern, die Billy Joel aus seinem Fundus schöpfen konnte. Kaum winkten wir „Brenda and Eddie goodbye“, seufzte Billy in sein Mundharmonika und rückte das Gestell zurecht. War es schon soweit?

Das Publikum im Volksparkstadion war eine „pretty good crowd for a Saturday“. Samstag im wahrsten Sinne des Wortes, das Publikum war sicher aufmerksam, vor allem die in den vordersten Reihen, was man an den Videowänden sehen konnte. Aber was ist mit der Unruhe während „Don’t Ask Me Why“ und der Gruppe „Blinded By The Light“? Billy stellte zu später Stunde erfreut fest, dass die Sonne untergegangen sei und die angesprochenen Leute das Konzert (hoffentlich) genießen konnten.

„Sing us a song you’re the piano man
Sing us a song tonight
Well we’re all in the mood for a melody
And you’ve got us feeling alright“

So und nicht anders kann man den Abend in vier Zeilen beschreiben. Billy Joel und seine Mitstreiter verabschiedeten sich. Es wurde kräftig nach Zugabe gerufen, sie ließen uns noch ein wenig warten, doch nun waren sie wieder da und Billy hängte sich wieder die Gitarre um.

Jetzt erst recht! (Ich bin nach wie vor stolz darauf, dass es mir wieder gelungen ist, den Text fehlerfrei herunterzuschreien.)

Und dann… unverkennbar. Am liebsten wäre ich dem Frankfurter um den Hals gefallen, aber ich konnte mich noch beherrschen und sang ausgelassen zu diesem Lied mit. Vor lauter Freude bekam ich wieder feuchte Augen und grinste über das ganze Gesicht.

„UPTOWN GIRL“!

(Mir fehlen immer noch die Worte.)

Auf das Finale steuerten wir mit den Klassikern „It’s Still Rock And Roll To Me“ und „You May Be Right“, die auch programmatisch klingen, zu. Möge der Rock’n’Roll noch lange in Billy schlummern und das richtungsweisende „Turn out the light“ im letzten Lied machte uns klar, dass nach zwei Stunden ein wunderschönes Konzert zu Ende gegangen ist.

223715Billy ist alt geworden, hat an Gewicht zugelegt und kann gewisse Stimmlagen nicht mehr treffen. Aber er hat mit seiner Band einen tollen Abend geboten, er war lustig drauf und man sah ihm auch an, dass er nach wie vor sehr gern für ein Publikum spielt.

Und ich bin dankbar, erfreut, glücklich, dass ich ihn noch einmal gesehen habe.

Was ich auch erwähnen möchte: Nach dem Konzert ging ich gemeinsam mit dem Frankfurter zu Fuß zur S-Bahn-Station „Stellingen“. Der Spaziergang im lauen Sommerabend hat gutgetan und wenn er nicht gewesen wäre, ließe ich sicher noch sämtliche S-Bahnen vorbeifahren, bevor ich einsteigen konnte. (Die Menschenmassen waren beängstigend.)

Ich weiß seinen Namen nicht. Aber solltest Du Dich in diesem Bericht wiedererkennen, danke für Deine Gesellschaft!

Im Hotel angekommen, lernte ich ein neues Bier kennen, in das ich mich sofort verliebte: 234615

Ergänzend:

http://www.kn-online.de/Nachrichten/Kultur/Billy-Joel-Meister-des-Entertainments-Blitzkritik-zum-Konzert-in-Hamburg

https://www.regioactive.de/review/2018/07/01/billy-joel-begeistert-im-hamburger-volksparkstadion-fans-jeden-alters-5Z9TWp5sWV.html

6 Kommentare

  1. Danke für deinen tollen Bericht. Ich konnte aufgrund einer Familienfeier nicht zum Konzert nach Hamburg fahren, so war ich nun doch noch dabei.

    2006 habe ich übrigens auch eine Show erleben dürfen, zum Glück indoor, in der (damals) Colorline Arena. Mit Highway to Hell UND Uptown Girl, das ich per Telefon live zu meiner damals 14jährigen Tochter nach Hause übertrug.

    Ich hoffe ja, dass Billy sich noch einmal die Ehre gibt.

    1. Danke für Deine Rückmeldung!

      Ich weiß nicht, ob ich noch einmal auf ein Konzert von Billy gehen werde, sollte er wieder nach Europa kommen, aber man soll niemals nie sagen ;-)

  2. Toller Spannungsbogen, Sori. Ich habe mitgelitten, als Du zum zweiten mal ‚Highway to hell‘ hören musstest und nicht gehen konntest/wolltest (weil es mir ähnlich gegangen wäre) und mich mit Dir gefreut, als die Geschichte ein Happy End nahm: unerwartet, so ersehnt ‚Uptown Girl‘ und ein neues Bier! Schöne Grüße, Birgit

      1. Oh, das find ich aber toll…
        Ich kenn das ‚Planten in blomen‘ in Hamburg noch nicht, nach dem ersten kurzgoogeln eben scheint es aber einen Besuch wert zu sein. Danke für den Tipp…

      2. Auf jeden Fall! Das Parkcafé ist sehr nett und da habe ich zum Abschied einen „Ratsherrn“ vom Fass getrunken.

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